CSRD – Wohin fährt der Omnibus?

In Deutschland ist die CSRD nach dem Scheitern der Ampelkoalition nicht umgesetzt worden, auf europäischer Ebene wird auf Änderungen gedrängt und bereits an entsprechenden Entwürfen gearbeitet, die in einer „Omnibus-Regulierung“ zusammengefasst werden sollen. Wir beschreiben den Stand der Dinge.
Worum geht es?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Mittwoch, 29. Januar 2025, angekündigt, „eine beispiellose Vereinfachungsinitiative“ auf den Weg zu bringen. Ein als „Wettbewerbsfähigkeitskompass für die EU“ bezeichneter Plan betrifft auch die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD), die Taxonomie-Verordnung und der Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) betreffen. Diese sollen durch eine „Omnibus-Gesetzgebung“ „eine weitreichende Vereinfachung“ erfahren, die voraussichtlich Ende Februar vorgestellt werden wird.
Was ist das für ein Omnibus?
In der öffentlichen Diskussion wurde der Begriff der Omnibus-Regulierung zum Teil so verstanden, dass bestehende Berichtspflichten gekürzt, vereinfacht und in einer neuen Verordnung gebündelt und zusammengefasst werden. Das ist ein Missverständnis: Mit „Omnibus“ wird ein Rechtsakt bezeichnet, der gleich mehrere andere Rechtsakte ändert. Im Deutschen werden solche Gesetze zumeist als „Artikelgesetz“ beschrieben, ein Wort, mit dem auch die Terminologiedatenbank der EU den Begriff „Omnibus“ im Zusammenhang mit der Gesetzgebung übersetzt.
Warum will die Kommission den Omnibus?
Die EU-Kommission folgt mit dem Regulierungsvorschlag einer Aufforderung des Europäischen Rates. Dieser hatte in seiner Erklärung von Budapest zum Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit am 8. November 2024 unter Berufung auf den Bericht von Mario Draghi zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU die Kommission aufgefordert, im ersten Halbjahr 2025 konkrete Vorschläge zur Verringerung der Berichtspflichten um mindestens 25 Prozent vorzulegen sowie in ihre Vorschläge auch Folgenabschätzungen in Bezug auf übermäßige Verwaltungslasten und Wettbewerbsfähigkeit aufzunehmen. Im Anschluss daran hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen in einer Pressekonferenz erklärt, die Substanz zum Beispiel der Regulierung in CSRD, Taxonomie-Verordnung und CSDDD sei gut und werde bewahrt, müsse aber vereinfacht und von Redundanzen befreit werden.
Was soll der Omnibus konkret bewirken?
Wie die angestrebte Vereinfachung konkret erreicht werden soll, ist noch Gegenstand von Diskussionen:
- Deutliche Reduzierung der bestehenden Berichtspflichten: Wie weit die Reduzierung gehen soll, ist noch unklar: In der Erklärung von Budapest ist von mindestens 25 Prozent die Rede. Die Kommission kündigt in der Kommunikation zum Wettbewerbsfähigkeitskompass an, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um das Ziel zu erreichen, die Berichtspflichten für Unternehmen insgesamt um 25 Prozent und für kleine und mittlere Unternehmen um 35 Prozent zu senken.Noch darüber hinaus gehen dürften die Vorschläge von den deutschen Ministern für Finanzen (Kukies), Soziales (Heil), Justiz (Wissing) und Wirtschaft und Klima (Habeck). In einem Schreiben vom 20. Dezember 2024 plädieren Sie etwa dafür, die Europäischen Berichtsstandards (ESRS) durch den im Entwurf vorliegenden Berichtstandard für börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen (LSME) zu ersetzen. Dieser Entwurf fragt nur etwa die Hälfte der in den ESRS enthaltenen Datenpunkte ab. Nach den Vorschlägen der Minister sollen auch diese Anforderungen nochmals reduziert werden, nämlich auf die des freiwilligen Standards für kleine und mittlere Unternehmen, die nicht börsennotiert sind (VSME).
Vergleichbare Forderungen erhob nach Presseberichten auch Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang Januar 2025 in einem Schreiben an Kommissionspräsidentin von der Leyen. Die Ampel-Regierung hatten sich vor und auch nach dem Ampel-Aus noch für eine Umsetzung der CSRD eingesetzt, an deren Zustandekommen sie ja auch beteiligt war. Entsprechend wurden ihre Änderungsvorschläge als durchaus überraschend wahrgenommen.
Ähnlich weit gehen die Vorschläge der Europäischen Volkspartei (EVP), die die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament stellt. Auf diese hatten sich die Vorsitzenden der in der EVP vereinigten Parteien Anfang Januar bei einem Treffen auf Einladung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz in Berlin verständigt. Darin wird gefordert, die Berichtspflichten für große Unternehmen um mindestens 50 Prozent zu reduzieren
- Anhebung der maßgeblichen Schwellenwerte: Damit einhergehen würde eine erhebliche Reduzierung der Zahl der verpflichteten Unternehmen.So kündigt die Europäische Kommission an, eine neue Unternehmenskategorie für Unternehmen einzuführen, die größer als kleine und mittlere Unternehmen, aber kleiner als Großunternehmen sind. Dann könnten tausende Unternehmen in der EU von einer maßgeschneiderten Vereinfachung profitieren, ähnlich wie kleine und mittlere Unternehmen.
Die französische Regierung schlägt ebenfalls vor, bei den Unternehmensgrößen im europäischen Recht eine neue Kategorie für sogenannte mittelgroße Unternehmen einzuführen. Sie soll bislang als „groß“ eingestufte Unternehmen mit 250 bis 1500 Beschäftigten, einem Umsatz von bis zu 1,5 Milliarden Euro oder einer Bilanzsumme von höchstens 2 Milliarden Euro erfassen und zwischen den kleinen und mittleren Unternehmen einerseits und der Kategorie der großen Unternehmen andererseits liegen.
In dem zitierten Brief der vier deutschen Bundesminister wird eine Anhebung der für die Berichtspflicht nach der CSRD maßgeblichen Mitarbeiterzahl von 250 auf 1000 Mitarbeiter gefordert. Der maßgebliche Nettoumsatzerlös soll gar verneunfacht werden, von 50 auf 450 Millionen. Damit wären die CSRD-Schwellenwerte denen der CSDDD angeglichen. Diesen Vorschlag macht auch die EVP.
- Verschiebung der Anwendbarkeit von CSRD und anderen Regelwerken: Sowohl Bundeskanzler Scholz als auch die genannten Bundesminister plädieren dafür, die erstmalige Anwendung der CSRD für große Unternehmen von dem Berichtsjahr 2025 auf das Berichtsjahr 2027 zu verschieben.Die EVP geht darüber noch hinaus: Sie schlägt vor nicht nur die Umsetzung der CSRD, sondern auch die der CSDDD sowie der damit zusammenhängenden Rechtsvorschriften, einschließlich der Taxonomieverordnung und des CO₂-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) für mindestens zwei Jahre auszusetzen.
Die französische Regierung erklärt, für eine Verschiebung der Anwendbarkeit der CSRD um zwei Jahre offen zu sein und plädiert bei der CSDDD sogar für eine Aussetzung auf „unbestimmte Zeit“.
Näheres dürfte bald folgen. In der Übersicht der voraussichtlichen Tagesordnungen der nächsten Kommissionssitzungen wird die Behandlung des „Omnibus package: Chapeau communication and omnibus proposal“ für den 26. Februar angekündigt. Der Vorstellung des Entwurfs werden intensive Diskussionen folgen, innerhalb der Kommission wie mit dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament. Auch US-amerikanische Vorbehalte insbesondere gegen die CSDDD könnten dabei eine Rolle spielen. Unabhängig von den Vorschlägen, den Geltungsbeginn der Regelwerke um zwei Jahre zu verschieben, dürfte es schwierig sein, die ggfs. modifizierten Änderungsvorschläge der Kommission noch 2025 in Kraft treten zu lassen und in nationales Recht umzusetzen.
Und was ist mit Deutschland?
Die Ampelkoalition hatte den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der CSRD erst deutlich nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 6. Juli 2024 und in der parlamentarischen Sommerpause vorgelegt. Nach der ersten Lesung im Deutschen Bundestag am 26. September und einer öffentlichen Expertenanhörung zu dem Gesetzentwurf Mitte Oktober im Rechtsausschuss brach die Koalition Anfang November 2024 auseinander. Das Gesetzgebungsverfahren wurde nicht weiterverfolgt und die CSRD – wie in einigen anderen Mitgliedsstaaten der EU – nicht umgesetzt.
Bundesminister und der Bundeskanzler setzten sich in den oben zitierten Schreiben vielmehr für eine Änderung der CSRD auf europäischer Ebene und eine Verschiebung um zwei Jahre ein, obwohl sie in zahlreichen Mitgliedsstaaten schon pflichtgemäß in nationales Recht umgesetzt worden war. Die Folgen sind erhebliche politische und rechtliche Unsicherheiten, deren Beschreibung als „perfektes Chaos“ nicht abwegig erscheint.
In Deutschland müsste wegen des Grundsatzes der Diskontinuität nach dem Beginn der kommenden Legislaturperiode ein neuer Gesetzentwurf zur Umsetzung der CSRD in den Bundestag eingebracht werden, der nach den Wahlen am 23. Februar 2025 nach Art. 39 Abs. 2 Grundgesetz spätestens in der letzten Märzwoche 2025 konstituiert werden muss. Da Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung deutlich länger dauern könnten und üblicherweise erst nach deren Abschluss weitere Vorbereitungen (z.B. Konstituierung von Ausschüssen) folgen, ist die volle Arbeitsfähigkeit von Regierung und Parlament vermutlich erst entsprechend später gegeben.
Abzuwarten bleibt bei alledem der weitere Verlauf der Vertragsverletzungsverfahren, die die EU-Kommission am 26. September 2024 gegen Deutschland und weitere Mitgliedsstaaten eingeleitet hat.
Was tun? Nur warten auf den Omnibus?
Solange die CSRD in der jetzigen oder einer durch die Omnibus-Regulierung modifizierten Form nicht umgesetzt wird, gilt weiterhin der bestehende Rechtsrahmen. Berichtspflichtig sind dann nur die Unternehmen, die unter die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) fallen, die 2017 unter die durch das CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz in deutsches Recht überführt worden ist. Denn auch die CSRD gilt als EU-Richtlinie in den Mitgliedsstaaten nicht unmittelbar, sondern muss in nationales Recht umgesetzt werden. Geschieht dies nicht, besteht keine Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im Sinne der Richtlinie. Das wird von einem vom Berufsverband der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Auftrag gegebenen Gutachten bestätigt. Eine solche Verpflichtung folge auch nicht aus den auf der Grundlage der CSRD als Verordnung erlassenen Berichtsstandards (ESRS – European Sustainability Reporting Standards). Diese gelten als Verordnung zwar unmittelbar, bedürfen also keiner Umsetzung. Sie begründen aber keine Berichtspflicht, sondern setzen diese voraus.
Wann, wie und wo der Omnibus ankommt, ist nach alledem unsicher. Bei aller Unsicherheit dürfte jedoch feststehen, dass es auch in Zukunft eine Nachhaltigkeitsberichterstattung geben wird, vermutlich in einer im Vergleich zu den ESRS deutlich weniger ambitionierten und aufwändigen Form. Unternehmen, die berichtspflichtig bleiben, voraussichtlich sein werden oder berichtspflichtigen Unternehmen Nachhaltigkeitsinformationen zur Verfügung stellen müssen, sollten die politische Entwicklung zwar aufmerksam beobachten, sie aber nicht zum Anlass nehmen, geplante Vorbereitungen aufzuschieben oder gar einzustellen. Und Unternehmen, die noch keine Vorbereitungen getroffen haben, sollten die Zeit nutzen, damit zu beginnen. Das gilt umso mehr, als die Berichtspflichten keineswegs nur Selbstzweck sind, sondern Nachhaltigkeitsinformationen auch etwa für die Kreditvergabe relevant sind. Nicht zuletzt sollen und können sie den Unternehmen dabei helfen, ihre Geschäftsmodelle zu transformieren und so ihre Zukunft zu sichern.
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Dr. Lorenz Müller Former State Secretary and Director at the German Bundestag Of Counsel
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Dr. Thomas Asmus Partner