EU-KOMMISSION WILL SEKTORSPEZIFISCHE STANDARDS FÜR NACH-HALTIGKEITSBERICHTER-STATTUNG UM ZWEI JAHRE VERSCHIEBEN
Die EU-Kommission schlägt vor, das Inkraftsetzen der sektorspezifischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung um zwei Jahre zu verschieben. Das hat sie in einer jetzt veröffentlichten Mitteilung (COM(2023 506 final) bekanntgegeben. Ob das die Nachhaltigkeitsberichterstattung erleichtert, ist allerdings fraglich. Berichtspflichtige Unternehmen sollten möglichst rasch mit den Vorbereitungen beginnen. Das Software-Tool „Easy Access“ von Lindenpartners kann dabei helfen.
Hintergrund
Nach dem Green Deal der EU muss in Europa „das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt werden“, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Dazu ist sehr viel Kapital notwendig. Dieses soll durch Transparenz der Nachhaltigkeit von Wirtschaftstätigkeiten mobilisiert werden. Dazu bedarf es zuverlässiger und vergleichbarer Informationen, die ein „Greenwashing“ verhindern. Das soll durch die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erreicht werden.
Die Anfang 2023 in Kraft getretene CSRD-Richtlinie verpflichtet Unternehmen der europäischen Wirtschaft – gestaffelt nach Größe und Umsatz – beginnend ab dem Geschäftsjahr 2024 zu einer ausführlichen und detaillierten ESG-Berichterstattung. Die weitaus meisten Unternehmen müssen erstmals 2026 über das Geschäftsjahr 2025 berichten. Allein in Deutschland werden künftig etwa 15.000 Unternehmen der Privatwirtschaft berichtspflichtig sein. Hinzu kommen zahlreiche öffentliche Unternehmen. Deren Zahl gibt der Verband der Wirtschaftsprüfer mit etwa 18.500 an.
Europäische Berichtsstandards
Konkretisiert werden die Berichtspflichten nach der CSRD durch detaillierte Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (European Sustainability Reporting Standards – ESRS), deren erstes Set am 31. Juli von der EU-Kommission angenommen wurden. Sie bestehen aus zwei allgemeinen und zehn themenspezifischen Regelwerken. Die themenspezifischen betreffen Standards Nachhaltigkeitsfragen, die die Umwelt, soziale Angelegenheiten und die Unternehmensführung betreffen. Die ESRS werden als delegierter Rechtsakt zur CSRD in Kraft gesetzt.
Welche Angaben als Pflichtangaben stets und immer beantwortet werden müssen, bestimmt der Standard ESRS 2 (Allgemeine Angaben). Angaben, die in den themenspezifischen ESRS darüber hinaus verlangt werden, müssen nur dann gemacht werden, wenn sie im Zuge der nach Standard ESRS 1 (Allgemeine Anforderungen) obligatorischen Wesentlichkeitsbewertung als wesentlich identifiziert wurden.
Die Wesentlichkeitsbewertung
Das erklärt die große Bedeutung der Wesentlichkeitsbewertung für den Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie ist nach den ESRS eine strukturierte Prüfung der Auswirkungen des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsaspekte (ökologische, soziale und Governance-bezogene) und umgekehrt der finanziellen Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf das Unternehmen.
Dies ist trotz (und wegen) detaillierter Vorgaben der Berichtsstandards in vielen Fällen keineswegs ein einfacher Prozess. Das mag folgender Auszug aus dem Standards ESRS 1 zur Wesentlichkeit von Auswirkungen des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsaspekte illustrieren:
„Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist hinsichtlich der Auswirkungen wesentlich, wenn er sich auf die wesentlichen tatsächlichen oder potenziellen, positiven oder negativen Auswirkungen des Unternehmens auf Menschen oder die Umwelt innerhalb kurz-, mittel- oder langfristiger Zeithorizonte bezieht. Zu den Auswirkungen gehören diejenigen, die mit der eigenen Geschäftstätigkeit und der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette des Unternehmens zusammenhängen, auch durch seine Produkte und Dienstleistungen sowie durch seine Geschäftsbeziehungen. Geschäftsbeziehungen umfassen die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette des Unternehmens und beschränken sich nicht auf direkte Vertragsverhältnisse.“
Der Umgang mit derart abstrakten und zugleich komplexen Vorgaben sowie einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, wie er allein in diesem kurzen Zitat zum Ausdruck kommt, stellt jedenfalls erstmals berichtspflichtige Unternehmen vor große Herausforderungen. Zwar bietet ESRS 1 zudem eine Liste mit in den themenspezifischen Standards behandelten Nachhaltigkeitsaspekten an, zum Thema „Klimawandel“ zum Beispiel die Unterthemen „Anpassung an den Klimawandel“, „Klimaschutz“ und „Energie“. Das kann das Abstraktionsniveau und die Komplexität der zitierten Anforderungen jedoch nur eingeschränkt kompensieren.
Sektorspezifische Standards
Als hilfreich könnten sich angesichts dessen Konkretisierungen in sektorspezifischen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erweisen. Diese sollen nach der CSRD bestimmen „welche Informationen die Unternehmen je nach Tätigkeitsbereich offenlegen sollten“, also die Wesentlichkeit von Nachhaltigkeitsthemen für ganze Wirtschaftsbereiche festlegen oder zumindest widerlegbar vermuten. Ein zweites Paket von Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das diese Bereiche abdeckt, ist nach der CSRD spätestens bis zum 30. Juni 2024 mittels delegierter Rechtsakte von der Kommission anzunehmen. Die mit der Entwurfsarbeit beauftragte European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) arbeitet derzeit an entsprechenden Entwürfen etwa zu den Sektoren Bergbau, Öl und Gas, Straßenverkehr, Landwirtschaft und Fischerei.
Nach Bekanntgabe des Kommissionsvorschlags ist nunmehr allerdings sehr fraglich, dass dieser Zeitplan eingehalten wird. Die zuständige EU-Kommissarin McGuiness hatte bereits am 7. September 2023 vor dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments angekündigt, die Frist für die Annahme der Standards um zwei Jahre auf Mitte 2026 zu verschieben, damit sich die Unternehmen zunächst auf die bereits verabschiedeten Standards konzentrieren können. Dem folgt der Kommissionsvorschlag an den Rat und das Parlament, der nun erst einmal bis zum 19. Dezember öffentlich zur Diskussion gestellt wird Hintergrund ist das Bestreben der EU-Kommission, die mit den Berichtspflichten verbundene Belastung der Unternehmen im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit um 25 Prozent zu reduzieren.[i]
Unabhängig von dem Zeitplan ist unsicher, wie die sektorspezifischen Standards die Frage der Wesentlichkeit behandeln werden. In einer Sitzungsunterlage des Sustainability Reporting Boards der EFRAG (EFRAG SRB) aus dem September 2023 werden zwei unterschiedliche Ansätze beschrieben:
- Erstens: In den sektorspezifischen ESRS werden Nachhaltigkeitsthemen aufgelistet, deren Wesentlichkeit für Unternehmen aus den jeweiligen Sektoren standardmäßig unterstellt wird. Für diese Fragen würde es also keiner Wesentlichkeitsbewertung bedürfen, wohl aber ihre umfassende Berücksichtigung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Eine Wesentlichkeitsbewertung käme allenfalls in Betracht, wenn das Unternehmen einzelne Kennziffern auslassen will, weil es diese als nicht wesentlich bewertet.
- Zweitens: Die in den sektorspezifischen Standards genannten Nachhaltigkeitsthemen werden nicht als wesentlich unterstellt, sondern als bei in dem jeweiligen Sektor tätigen Unternehmen üblicherweise wesentlich beschrieben; sie sind deswegen in die Wesentlichkeitsbewertung des Unternehmens aufzunehmen. Das Unternehmen hat im Rahmen der Beschreibung seiner Wesentlichkeitsbewertung ggfs. darzustellen, warum es bestimmte der in den sektorspezifischen Standards angesprochenen Nachhaltigkeitsfragen als unwesentlich eingestuft hat.
Welcher Weg von der EFRAG – und schließlich der Kommission – eingeschlagen werden wird, lässt sich kaum vorhersagen. Das Sustainable Reporting Board der EFRAG hat vorläufig die zweite Möglichkeit favorisiert, auch deswegen, weil sie dem entsprechenden Ansatz der Standards der Global Reporting Initiative (GRI) ähnlich ist.
Fazit: Besser starten als warten
Angesichts der inhaltlichen und insbesondere der zeitlichen Unsicherheiten kann nur davon abgeraten werden, mit der Vorbereitung auf die Berichterstattungspflichten nach der CSRD bis zur Annahme der sektorspezifischen Standards abzuwarten. Unternehmen, die erstmals über das Geschäftsjahr 2025 zu berichten haben, sollten im Gegenteil möglichst rasch damit beginnen, die Prozesse aufzubauen, die 2025 zur Erfüllung der Berichtspflichten erforderlich sind. Das setzt nicht zuletzt eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des eigenen Geschäftsmodells und der Strategie auf dem Weg etwa auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft voraus. Dazu gehören insbesondere auch frühzeitige Überlegungen zur Wesentlichkeitsbewertung. Diese können, richtig verstanden, dem Unternehmen nicht nur den Einstieg in die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung erleichtern, sondern vor allem auch dabei helfen, das Unternehmen rechtzeitig so aufzustellen, dass es den stetig steigenden Anforderungen an den Klimaschutz und andere Nachhaltigkeitsfragen gelassen entgegensehen kann.
Am besten gewappnet dürften die Unternehmen sein, die die erforderlichen Strukturen bereits soweit aufgebaut haben, dass sie 2024 bereits als Probejahr für die Erhebung, Sammlung, Aufbereitung und Verarbeitung der relevanten Informationen nutzen können. Wer dazu nicht in der Lage war, sollte spätestens im ersten Quartal 2024 damit beginnen. Lindenpartners bietet mit dem selbst entwickelten Software-Tool „Easy Access“ einen einfachen und schnellen Zugang in die vielen noch unbekannte Welt der Nachhaltigkeitsberichterstattung.
[i] Mitteilung der Kommission: Langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU: Blick über 2030 hinaus, vom 16.3.2023, Com(2023 168 final, S. 21.
- Dr. Thomas Asmus Partner
- Dr. Lorenz Müller Former State Secretary and Director at the German Bundestag Of Counsel
- Dr. Nils Christian Ipsen LL.M. Partner