Nachhaltigkeitsberichterstattung: Weniger Pflichten für öffentliche Unternehmen?

Die Bundesregierung plant offenbar, kleine und mittelgroße öffentliche Unternehmen von den umfangreichen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach den europäischen Berichterstattungsstandards zu entlasten. Es ist anzunehmen, dass die Länder diesem Beispiel folgen werden.
Im Ergebnis sind die vorgesehenen Änderungen sachgerecht, da sie eine Gleichbehandlung öffentlicher mit privaten Unternehmen zur Folge hätten. Zudem sehen die einschlägigen Regeln des Bundes vor, dass der Vorbildfunktion der öffentlichen Hand auch bei kleinen und mittleren öffentlichen Unternehmen durch eine Nachhaltigkeitsberichterstattung nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex Rechnung getragen wird.
Worum geht es?
Die EU soll nach dem europäischen Green Deal zu „zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist.“ Um für diese Transformation benötigte (und durch die sustainable-finance-Regulierung unterstützte) Investitionsentscheidungen auf einer breiten und sicheren Grundlage zu ermöglichen, werden ab dem Berichtsjahr 2025 viele „große“ Kapitalgesellschaften aufgrund der europäischen Corporate Sustainability Directive (CSRD) erstmals umfangreichen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung unterworfen. Das sind gegenwärtig Unternehmen, die mindestens zwei der folgenden Bedingungen erfüllen:
250 Beschäftigte (Jahresdurchschnitt),
40 Millionen Euro Nettoumsatzerlöse,
20 Millionen Euro Bilanzsumme.
Die CSRD ist bis zum 26. Juli 2024 in deutsches Recht umzusetzen, insbesondere im Dritten Buch des HGB. Damit werden auch viele öffentliche Unternehmen berichtspflichtig werden – und dies, anders als bei privaten Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe und ihrer Rechtsform.[1] Denn § 65 Abs. 1 Nr. 4 Bundeshaushaltsordnung bestimmt ebenso wie die entsprechenden Normen der Landeshaushaltsordnungen, dass die Gründung eines Unternehmens in einer Rechtsform des privaten Rechts und die Beteiligung an einem solchen nur erfolgen soll, wenn gewährleistet ist, „daß der Jahresabschluß und der Lagebericht (…) in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Dritten Buchs des Handelsgesetzbuchs für große Kapitalgesellschaften aufgestellt und geprüft werden.“ Hinzu kommt, dass landesrechtliche Regelungen durch entsprechende Verweise auf das Handelsrecht nicht selten auch Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform (z.B. Eigenbetriebe, Zweckverbände, Anstalten des öffentlichen Rechts) unabhängig von ihrer Größe verpflichten würden, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat im Herbst 2022 in einem Schreiben an die zuständigen Ministerien und Minister darauf hingewiesen, dass so „letztlich die Mehrheit der bundesweit über 18.500 öffentlichen Unternehmen (davon rund 16.000 auf kommunaler Ebene) – unmittelbar oder mittelbar – von den Neuerungen betroffen sein werden.“
Der Verband kommunaler Unternehmen hatte in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesjustizministerium darauf hingewiesen, dass kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) von den Berichtspflichten überfordert wären, weshalb der europäische Gesetzgeber sie bewusst ausgenommen habe. Dies sollte bei der Umsetzung der EU-Richtlinie auf Bundes- und Länderebene auch für kommunale Unternehmen berücksichtigt werden. Zwar erkenne man an, dass Unternehmen der öffentlichen Hand gerade im Bereich der Nachhaltigkeit eine – in den Klimaschutzgesetzen von Bund und Ländern häufig explizit hervorgehobene – Vorbildfunktion zukommt. Eine Umsetzung der Anforderungen an einen solchen Nachhaltigkeitsbericht innerhalb der gleichen Frist, wie sie für große Kapitalgesellschaften gilt, halte man jedoch „für praktisch kaum möglich“. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände forderte entsprechend, die Bundesregierung möge sich dafür einsetzen, „dass entsprechende Änderungen in den Gemeindeordnungen der Länder rechtzeitig vorgenommen werden“, um KMU von der Berichtspflicht nach der CSRD auszunehmen.
Pläne des Bundes
Auf Bundesebene soll vergleichbaren Bedenken nun offenbar durch eine Änderung der haushaltsrechtlichen Bestimmungen Rechnung getragen werden. In einem Bericht über ein Treffen der Beteiligungsführungen des Bundes und der Länder sowie von Bundeskanzleramt und Bundesrechnungshof im Bundesfinanzministerium (BMF) heißt es:
„Weiterhin gab das BMF einen Überblick über die künftigen Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung für Bundesunternehmen. Das bestehende abgestufte Berichtssystem nach Unternehmensgröße soll entlang der Vorgaben der Corporate Sustainability Reporting Directive fortgeschrieben werden. Je nach Unternehmensgröße ist ein praxistaugliches Berichtsformat zu nutzen. Öffentliche Unternehmen haben hierbei die gleichen Pflichten wie rein privatwirtschaftliche Unternehmen.“
In den „Richtlinien für eine aktive Beteiligungsführung bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung“ in den „Grundsätzen guter Unternehmens- und aktiver Beteiligungsführung im Bereich des Bundes“ wird diese Anpassung schon vorweggenommen. In der neuesten Fassung (Stand 13. Dezember 2023) steht:
„Die Neufassung von § 65 Abs. 1 Nr. 4 BHO schafft eine Öffnungsklausel, um dem Proportionalitätsgedanken im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung Rechnung zu tragen. Im Gesellschaftsvertrag kann daher für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften (s. §§ 267, 267a HGB), die nicht kapitalmarktorientiert sind und für die somit §§ 289b ff. HGB nicht greifen, eine Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex einschließlich menschenrechtlicher Berichtspflicht bzw. einem insbesondere hinsichtlich der Anforderungen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte oder vergleichbarem Rahmenwerk zur nichtfinanziellen Berichterstattung mit einer Berichtspflicht auch zu Aspekten der Menschenrechte verankert werden. Die Gesellschafter können aber auch für diese Unternehmen die bestehende Regelung im Gesellschaftsvertrag belassen, wonach dann der Nachhaltigkeitsbericht von kleinen und mittelgroßen Unternehmen über die Verweisung des § 65 Abs. 1 Nr. 4 BHO auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Dritten Buchs des Handelsgesetzbuchs für große Kapitalgesellschaften aufgestellt wird.“
Entsprechend argumentiert der zuständige Abteilungsleiter im BMF, Stefan Ramge, in einem Interview:
„Damit Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis stehen, wollen wir, wie auch auf europäischer Ebene vorgesehen, an unserem abgestuften Berichtsmodell festhalten und es an die aktuellen Anforderungen anpassen. Unsere großen Kapitalgesellschaften sowie unsere kapitalmarktorientierten Unternehmen haben nach den CSRD-Vorgaben zu berichten. Die mittleren und kleinen nichtkapitalmarktorientierten Bundesunternehmen sollen ihren Nachhaltigkeitsbericht nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) erstellen. Der DNK mit seinen Hilfestellungen durch das DNK-Büro ist gerade für kleine Unternehmen eine sehr gute Möglichkeit, einen sachgerechten Nachhaltigkeitsbericht zu verfassen. Mit diesem Modell haben wir für jede Unternehmensgröße auf Bundesebene das passende Berichtsformat.
Zur Nachzeichnung ist auf Ebene der BHO eine kleine Anpassung bei § 65 Abs. 1 Nr. 4 BHO notwendig, was wir dem Gesetzgeber durch den Referentenentwurf zur Umsetzung der CSRD ins nationale Recht vorschlagen werden.“
Bestrebungen in den Bundesländern
Vergleichbare Bestrebungen gibt es auch in Nordrhein-Westfalen. So sieht der Entwurf eines 3. Gesetzes zur Weiterentwicklung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF)[2] in Nordrhein-Westfalen vor, dass kleinere kommunale Unternehmen ihren Jahresabschluss nicht mehr wie große Kapitalgesellschaften gestalten müssen. Anders als bei der bundesrechtlichen Regelung soll dies nach § 108 Abs. 8 der Gemeindeordnung NRW in der Entwurfsfassung durch gesellschaftsvertragliche oder Bestimmungen in der Satzung ausgeschlossen werden können. Noch darüber hinaus geht möglicherweise die Entlastung von Unternehmen in öffentlich-rechtlichen Rechtsformen (z.B. Anstalten des öffentlichen Rechts, Eigenbetriebe). Allerdings ist der Entwurf etwas widersprüchlich formuliert und lässt einiges im Unklaren, wie das Institut der Wirtschaftsprüfer in einem Schreiben vom 29. November 2023 an die zuständige Ministerin feststellt.
Fazit
Kleine und mittlere öffentliche KMU von der umfassenden Berichtspflicht nach den ESRS auszunehmen, ist sachgerecht. Denn auch die EU-Regulierung selbst verpflichtet nur große Unternehmen und kapitalmarktorientierte KMU, um KMU nicht zu überfordern. Andererseits wurden die strengeren Berichtspflichten für große Kapitalgesellschaften öffentlichen Unternehmen ungeachtet ihrer Größe und Rechtsform bislang auferlegt, um der besonderen Verantwortung zur Verwaltung öffentlicher Mittel gerecht zu werden. Eine solche besondere Verantwortung öffentlicher Unternehmen könnte auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit begründet werden. Denn sowohl das Klimaschutzgesetz des Bundes als auch Klimaschutzgesetze der Länder betonen die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand beim Klimaschutz. Dieser besonderen „Nachhaltigkeitsverantwortlichkeit“ können kleine und mittlere öffentliche Unternehmen allerdings auch durch eine weniger umfangreiche Nachhaltigkeitsberichterstattung nachkommen. So sehen die Pläne des Bundes vor, diese Unternehmen – wie bisher – zur Berichterstattung nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex zu verpflichten. Da der Kodex unterschiedliche Berichtsstandards integrieren kann, eröffnet dies die Möglichkeit, den ESRS in einem für kleine und mittlere Unternehmen angemessenen Umfang zu folgen. Entwürfe für entsprechende Standards hat die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) am 22. Januar 2024 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Ob die Länder für die öffentlichen KMU in ihrer Verantwortung einen vergleichbaren Weg gehen werden, bleibt abzuwarten.
[1] Siehe dazu umfassend: Lorenz Müller, Thomas Asmus: Zwischen Pflicht und Kür: Die Vorbildfunktion öffentlicher Unternehmen und das Recht der Nachhaltigkeitsberichterstattung, in DÖV 2023 (13), S. 525-534.
[2] Siehe dazu auch die Stellungnahmen im Rahmen einer öffentlichen Ausschussanhörung zu dem Gesetzentwurf abrufbar unter https://www.landtag.nrw.de/home/der-landtag/tagesordnungen/WP18/600/E18-609.html
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Dr. Thomas Asmus Partner
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Dr. Lorenz Müller Former State Secretary and Director at the German Bundestag Of Counsel
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Dr. Nils Christian Ipsen LL.M. Partner